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Beitrag vom 19.04.2012
Schwer, nicht zu resignieren
Annika Hüttmann
AVIVA-Berlin sprach mit einer Medizin-Kontrollerin, die dafür kämpft, den selben Lohn wie ihre männlichen Kollegen zu bekommen. Jahrelanger Stress, Rechtsstreit und Mobbing haben ihr gezeigt,...
... wie schwer ihre eigentlich so simple Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit in der Realität umzusetzen ist.
Der geschlechtsspezifische Lohnabstand in Deutschland beträgt nach wie vor fast 23 Prozent. In allen Bereichen verdienen Frauen im Durchschnitt weniger als ihre Kollegen. Ein ausgeglichenes Verhältnis der Anzahl weiblicher und männlicher Führungskräfte ist trotz anhaltender Diskussionen um die Frauenquote noch in weiter Ferne. Eine Online-Umfrage von LohnSpiegel unter 12.000 AkademikerInnen ergab außerdem, dass auch Frauen in Führungspositionen deutlich weniger verdienen - rund 1.000,- Euro monatlich beträgt der Unterschied zu ihren männlichen Kollegen.
Diese statistischen Erhebungen zeugen mehr als deutlich von einer Ungerechtigkeit, die dringend bekämpft werden muss, doch wie schwer dies in der Praxis sein kann, zeigt sich, wenn mensch hinter die Zahlen und auf den Alltag betroffener Frauen blickt. AVIVA-Berlin sprach mit einer Angestellten im Öffentlichen Dienst, deren Geschichte leider stellvertretend für viele steht. Aus nachvollziehbaren Gründen möchte sie lieber unerkannt bleiben.
"Wenn ich auf den ganzen Ärger blicke, weiß ich nicht, ob ich es nochmal tun würde." A. B. kämpft seit Jahren darum, gleich viel Gehalt zu bekommen wie ihre Kollegen, bislang jedoch erfolglos.
Nach einer kaufmännischen Ausbildung und einer Fortbildung als Finanzbuchhalterin, war sie zunächst in einem Krankenhaus in Hamburg tätig, seit 1991 arbeitet sie in einer Klinik in einer viel kleineren Stadt. Dort war sie für Finanzbuchhaltung, Kosten- und Leistungsrechnung zuständig, bis sie um 2001 ins Medizin-Kontrolling wechselte. 2009 machte sie eine Fortbildung zur klinischen Kodiererin und war von da an im Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK)-Management tätig. "Ich habe schon immer gewusst, dass ich weniger Lohn als meine männlichen Kollegen bekomme, auf verschiedenen Fortbildungen ist mir dann aufgegangen, dass ich es sogar viel weniger ist. Ich habe immer geglaubt es wäre in Ordnung, weniger Geld zu kriegen, solange ich die Kodierausbildung nicht habe."
Nachdem A. B. diese Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hatte, stellte sie also einen Höhergruppierungsantrag, um endlich den Lohn zu einzufordern, der ihr ihrer Meinung nach zustand. Monate später bekam sie die Antwort, dies sei nicht möglich, da der Lohnunterschied lediglich auf der Tarifumstellung im öffentlichen Dienst beruhe. 2006 wurde der bis dahin gültige Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) auf den Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVÖD) umgestellt, ihre Kollegen waren vor dieser Umstellung eine Tarifgruppe höher eingruppiert und der Arbeitgeber war verpflichtet, sie weiterhin in diese Tarifgruppe einzuordnen. Das klingt nach einer zwar nicht unbedingt gerechten, aber logischen Begründung für den Lohnunterschied. A. B. hatte aber ein wichtiges Argument, das für sie sprach: Im Gegensatz zu ihren Kollegen kodierte sie nicht nur, sondern war alleine für das MDK-Management zuständig - eine sehr viel verantwortungsvollere Aufgabe. Sie wollte also nicht nur gleichen Lohn für gleiche Arbeit, sondern gleichen Lohn für schwerere Arbeit.
An diesem Punkt begannen die wirklichen Ungerechtigkeiten. Die ArbeitgeberInnenseite reagierte nämlich nicht, indem sie A. B.s Lohn erhöhte, sondern sie änderte umgehend ihr Aufgabengebiet und ihre Arbeitszeiten. Wie ihre Kollegen kodierte sie jetzt nur noch - statt 2,5 Tage die Woche nun jeden Tag und noch immer für weniger Geld.
"An sich würde ich es nicht schlimm finden, weniger Geld zu verdienen, wenn man sich darüber streiten könnte. Dann hätte ich mir einfach einen Anwalt genommen und wir hätten das geregelt. Mein Arbeitgeber fing aber an, persönlich zu werden."
Die Situation, in der die Frau sich seit Beginn der Streitigkeiten befindet, beschreibt sie als eine Art von Mobbing. Weist sie KollegInnen, die nun statt ihr für das MDK-Management zuständig sind, es aber noch nicht entsprechend beherrschen, auf Fehler hin, wird ihr gesagt, sie erwecke den Eindruck als würde sie absichtlich nach Fehlern suchen.
Nachdem sie drei Wochen im Urlaub und zwei weitere krank geschrieben war, wurden nach nur fünf Tagen Vorwürfe laut, sie würde ihre Arbeit nicht schaffen, weil sich so viel angesammelt hätte.
Als ihr Aufgabengebiet und ihre Arbeitszeiten geändert wurden, nahm A. B. sich einen Rechtsanwalt und reichte Klage ein. In erster Instanz bekam sie bezüglich der Arbeitszeiten recht, da die ArbeitgeberInnenseite die Änderung nicht begründet hatte. Dies wurde jedoch nachgeholt, daher lohnte sich ein Einspruch nicht mehr. Als sie ein Zwischenzeugnis für ihre bisherigen Tätigkeiten wollte, bekam sie dieses zwar, es war jedoch "unter aller Kanone", wie sie selbst sagt. Auch dagegen klagte sie, ihr Arbeitgeber musste das Zeugnis noch einmal verfassen, besser wurde es dadurch nicht.
Im Mai steht der nächste Termin an, um eine Höhergruppierung einzuklagen, ihr Anwalt rät ihr jedoch, zunächst abzuwarten, denn eventuell könnte sie im Rahmen des üblichen "Bewährungsaufstiegs" höher gruppiert werden. Ihre Herangehensweise sieht inzwischen so aus: "Ich habe nichts zu verlieren."
Wirkliche Unterstützung bekommt sie nicht. Ihre KollegInnen - auch die männlichen - sagen ihr gegenüber zwar, sie fänden es nicht gerecht, dass sie weniger Lohn bekommt, offen unterstützen möchte sie jedoch niemand. "Meine Abteilung hält lieber die Klappe. Ich bin immer die einzige, die das nicht tut." Vernetzt mit anderen Frauen, die ihr Problem teilen, ist sie bislang nicht. Sie würde sich jedoch freuen, wenn ihre Geschichte anderen helfen könnte. Auch wenn sie diesen Frauen nicht unbedingt ihre eigene Vorgehensweise empfehlen würde. "Anderen Frauen würde ich raten, nicht zu sehr darauf zu hoffen, dass sie Recht bekommen. Eventuell sollten sie versuchen, diplomatischer vorzugehen als ich es getan habe. Vielleicht ist es leichter, etwas durch viele kleine Schritte zu erreichen als zu sagen: Bis hierhin und nicht weiter, ich mache das nicht mit." Wirklich ermutigend klingt das nicht.
Auf den ersten Blick sieht dieser Sachverhalt nicht direkt nach einem geschlechtsspezifischen Problem aus. Wird ein Lohnunterschied durch unterschiedliche Tarifgruppen begründet, spielt es eigentlich keine Rolle, welches Geschlecht die Person hat, die der jeweiligen Gruppe zugeordnet wird. Doch die Art, wie auf A. B.s Forderung nach mehr Lohn reagiert wird, zeigt, dass es sich hier trotzdem in hohem Maße um Diskriminierung aufgrund von Geschlecht handelt. Wirtschaftswissenschaftlerin Elke Holst formulierte es dem Karriere-Portal "Monster.de" gegenüber so: "Treten Frauen bei den Verhandlungen genauso hart, zielstrebig und durchsetzungsfähig wie Männer auf, kann das ihr Gegenüber leicht irritieren - sie gelten dann oft als Einzelkämpferinnen, `schlimmer als ein Mann` und als `keine Frau mehr`. Verhalten sie sich entsprechend dem weiblichen Geschlechterstereotyp, also bescheiden und sozial, wird ihnen das schnell als Inkompetenz ausgelegt." Eine Frau, die sich entschlossen für ihre Rechte einsetzt, wird also als störend empfunden. Was bei einem Mann als Stärke ausgelegt wird - entschlossen zu behaupten, seine Arbeit sei mehr wert als der Lohn, den er dafür bekommt - wird hier als übertrieben und nervig abgestempelt. Es wird versucht, sie mit kleinen Zugeständnissen (in A. B.s Fall das Angebot einer außertariflichen Zulage) zufrieden zu stellen. Mit allen Mitteln - und sei es Mobbing - soll die aufmüpfige Frau geschwächt werden und verbünden möchte sich lieber niemand mit ihr, denn sie fällt aus einem System, in dem Frauen sich lieber mit dem, was sie haben begnügen sollen. Aufgrund von Gesetzen, die es möglich machen, dass Menschen für dieselbe Tätigkeit unterschiedlich entlohnt werden, lässt sich diese Tatsache aber hervorragend verschleiern, denn es ist schwer, die Diskriminierung nachzuweisen.
Der tägliche Kampf zehrt an den Kräften. A. B. leidet aufgrund der Streitigkeiten an einem Magengeschwür. Da sie ihr Aufgabengebiet im Prinzip sehr mag, kann sie sich noch einigermaßen selbst motivieren, es fällt ihr jedoch schwer, nicht zu resignieren. Sie hat schon oft daran gedacht, woanders zu arbeiten, Medizin-KontrollerInnen sind überall gefragt . Allerdings nicht in der kleinen Stadt, in der sie wohnt. An diese Stadt ist A. B. jedoch zur Zeit gebunden, da sie sich um ihren 80jährigen Vater kümmern muss und ihre Kinder, die beide kurz vor dem Abitur stehen, nicht die Schule wechseln wollen. A. B. will jedoch nicht einfach klein beigeben. "Ich werde da hoch erhobenen Kopfes rausgehen. Auch wenn man verliert kann man das, denn es ist immer besser zu kämpfen, als es gar nicht erst zu versuchen."
AVIVA-Berlin wünscht A. B. starke Nerven und viel Erfolg!
Weitere Informationen finden Sie unter:
www.karriere-journal.monster.de
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(Quellen: www.karriere-journal.monster.de, AVIVA-Berlin)